Zusammenwirken der einzelnen Betriebsmittel im elektrischen Netz

Im Interview: Prof. Dr.-Ing. Jutta Hanson, Fachgebiet Elektrische Energieversorgung unter Einsatz Erneuerbarer Energien

2022/12/05

Der Kern der Energiewende ist der Umstieg auf erneuerbare Energien. Dies technisch umzusetzen ist jedoch leichter gesagt als getan. Bevor der Strom vom Offshore-Windpark oder von der Photovoltaik-Freiflächenanlage zur Steckdose gelangt, sind einige Zwischenschritte notwendig.

Frau Professorin Hanson, warum ist die Energiewende so wichtig?

Das Erreichen der Klimaziele ist eine der drängendsten Aufgaben des 21. Jahrhunderts. Dafür ist eine Transformation des gesamten Energiesystems notwendig. Dies wird gerne als Energiewende bezeichnet.

Transformation bedeutet hierbei, dass das gesamte Energiesystem, bestehend aus den Sektoren Strom, Wärme, Mobilität, Industrie usw. nachhaltig, umweltfreundlich, aber auch sicher und zuverlässig gestaltet und betrieben wird. Durch den Ukrainekrieg ist die Importunabhängigkeit von Rohstoffen und von Energie als weiteres Kriterium verstärkt in das Bewusstsein gerückt.

Wie glauben Sie kann man die Energiewende beschleunigen?

Häufig fehlt die Akzeptanz für bestehende Technologien, zum Beispiel das Errichten von Onshore-Windenergieanlagen oder Freileitungen für das Stromnetz. Auch Anreize für Veränderungen sind oftmals nicht vorhanden bzw. komplexe bürokratische Hürden verhindern eine schnelle Umsetzung.

Die neuen Ziele der Bundesregierung erfordern aber genau dies. Die Ziele können nur realisiert werden, wenn die EE-Anlagen (EE = erneuerbare Energien) jetzt schnell ausgebaut werden. Dies wiederum bedingt auch den Ausbau der Stromnetzinfrastruktur.

Technische Ansätze, die weniger Auswirkungen auf die breite Öffentlichkeit haben, beispielsweise die Verkabelung von Stromnetzen oder die Entwicklung von dezentralen Lösungen, können bei der Beschleunigung der Energiewende helfen. Das Erforschen und Weiterentwickeln dieser Ansätze für einen stabilen Netzbetrieb bei großflächiger volatiler Stromerzeugung zählen zu den Aufgaben unseres Fachgebietes.

Prof. Dr.-Ing. Jutta Hanson

Wir forschen an der systemischen Betrachtung von Stromnetzen, also dem Zusammenwirken der einzelnen Betriebsmittel im elektrischen Netz: Wie kommt der Strom vom Kraftwerk zum Verbraucher?

Was trägt Ihr Forschungsbereich zur Energiewende bei?

Unsere Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Stabilität elektrischer Netze bei einem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien, welche in der Regel über leistungselektronische Umrichter an das Stromnetz angeschlossen sind. Beispiel: Wie bringen wir die elektrische Leistung der Offshore-Windparks im Norden Deutschlands zu den Verbrauchern in der Mitte und im Süden?

Wir müssen hierfür neue Technologien im Stromnetz anwenden: die Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) als „Stromautobahn“. Wie funktioniert ein Stromnetz, welches in der Folge nicht nur aus einem Drehstrom- sondern auch aus einem Gleichstromnetz besteht? Welche Regelungsstrategien ermöglichen einen stabilen, energieeffizienten Betrieb?

Aber auch die Elektromobilität muss in das Stromnetz integriert werden. Können wir hierfür z.B. kleine „Energiezellen“ planen, in denen die Schwankungen der Einspeisung aus Photovoltaik und Wind mit Hilfe der Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen, den elektrischen Verbrauchern und zusätzlichen Batterien zu möglichst vielen Zeiten ausgeglichen werden können?

Professorin Jutta Hanson ist deutsches Mitglied des Energy Steering Panel der EASAC (European Academies Science Advisory Council). Im Rahmen dieser Tätigkeit berät die Expertin im Bereich Erneuerbare Energien Entscheidungsträgerinnen und –träger der EU. Außerdem ist sie Mitglied des Senats der Helmholtz-Gemeinschaft und wurde für ihr wissenschaftliches Engagement und ihre Errungenschaften zur Energiewende mit dem renommierten Heinrich-Hertz-Preis ausgezeichnet.

Wir sind an unterschiedlichen Forschungsprojekten aktiv beteiligt. Beispielsweise analysieren wir im Projekt OVANET die stabilisierende Wirkung der Regelungseinrichtungen von HGÜ-Umrichtern für das deutsche Übertragungsnetz. Demgegenüber widmet sich das Forschungsprojekt DELTA dem Darmstädter Verteilnetz. Hierbei werden die Subsidiarität einzelner Quartiere mithilfe von Quartiersspeicherlösungen untersucht und vermaschte Netztopologien für eine quartiersübergreifende Effizienzsteigerung analysiert.

Am Campus Lichtwiese erforscht das Fachgebiet gemeinsam mit anderen Fachgebieten und Fachbereichen der TU Darmstadt einen energieeffizienten Campus Lichtwiese. Unsere Forschung fokussiert sich hierbei auf den intelligenten Betrieb von Mittelspannungsnetzen mithilfe der Zustandsschätzung und beschäftigt sich nicht zuletzt mit der Fragestellung wie das Straßenbahnnetz zum geplanten Ausbau einer Schnellladeinfrastruktur innerhalb des Stadtgebietes verwendet werden kann.

Auch Beteiligungen und Kooperationen zum Thema Wissensvermittlung und Politikberatung finden an unserem Fachgebiet ihren Platz.

Warum die Übertragungsnetze ausgebaut werden (Video)

Was ändert sich bei unserer Stromversorgung durch die Energiewende?

Was bietet die TU Darmstadt im Bereich Lehre und Forschung im Vergleich zu anderen Universitäten?

An der TU Darmstadt wird Interdisziplinarität in Lehre und Forschung gelebt. In unseren Lehrveranstaltungen gibt es immer auch interessierte Studierende anderer Studiengänge, die sich mit dem Thema Energiewende auseinandersetzen möchten und an der TU Darmstadt auch die Möglichkeit haben, die Lehrveranstaltungen zu besuchen und diese in ihren Studienplan einzubringen.

Die TU Darmstadt bietet Platz und Gelegenheit für Grundlagenforschung, aber auch für anwendungsnahe Forschung. Beides ist für die Umsetzung der Energiewende fundamental wichtig. Weiterhin ist die Zusammenarbeit innerhalb der TU in Forschungsprojekten durch den autonomen Charakter der Universität besonders, wie man beispielsweise im Forschungsprojekt EnEff:Campus seit vielen Jahren sieht. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit hat sich zudem auf die Darmstädter Unternehmen ausgedehnt, die eng mit den Forschern der TU zusammenarbeiten.

Mit dem Gründungs- und Innovationszentrum HIGHEST haben wir zusätzlich auch eine hervorragende Möglichkeit, dass Studierende und Forschende gezielt bei der Planung und Umsetzung ihrer Geschäftsideen unterstützt werden können. Es sind bereits unterschiedliche Startups für das Voranbringen der Energiewende entstanden.

Wie kann man die Energiewende am besten selbst mitgestalten?

Natürlich hilft Energie sparen! Für die elektrische Leistung gilt: Alles, was nicht verbraucht wird, muss nicht erzeugt und nicht übertragen werden. Daneben kann man sich als Ingenieur:in der Elektrotechnik und Informationstechnik hervorragend in die Entwicklung eines neuen ganzheitlichen Energiesystems einbringen. Frische Ideen, neue Ansätze werden gebraucht. Unser Fachgebiet bietet bereits während des Studiums die Möglichkeit, nicht nur in Form von Abschlussarbeiten oder Seminaren aktiv an aktuellen Forschungsthemen der Energiewende mitzuarbeiten.

Wir bedanken uns sehr herzlich für dieses aufklärende und informative Gespräch Frau Professor Hanson!