Verlängerungskabel für die Energiewende

etit-Wissenschaftler untersuchen gasisolierte Gleichstrom-Erdleitungen unter Realbedingungen

29.11.2022 von

Lässt sich mit unterirdischen, gasisolierten Gleichstromleitungen regenerativ erzeugter Strom über weite Strecken verlustarm, effizient und kompakt transportieren? Dieser Frage gehen Wissenschaftler des Fachbereichs Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU Darmstadt und ihre Forschungspartner in einem Langzeit-Großversuch nach.

Das Gelingen der Energiewende steht in direktem Zusammenhang mit dem elektrischen Netzausbau in Deutschland. Denn der Strom, der aus Windenergie im Norden gewonnen wird, muss in den Süden des Landes transportiert werden. Doch hier ergeben sich technische und gesellschaftliche Probleme: Der Bau von Hochspannungsfreileitungen erzeugt Widerstand bei Anwohnerinnen und Anwohnern. Und mit herkömmlichen Wechselstrom-Erdkabeln lässt sich Energie nicht über mehrere hundert Kilometer wirtschaftlich transportieren.

Einen Ausweg stellen Gleichstromkabel dar, die aber technisches Neuland sind und sich für die geplante Übertragungsspannung von bis zu ± 550.000 Volt zum Teil noch in der Qualifizierungsphase befinden. Eine sinnvolle Ergänzung zu den genannten Übertragungstechniken mit weniger Platzbedarf stellen gasisolierte Gleichstrom-Übertragungsleitungen dar (DC GIL, Direct Current Gas-insulated Transmission Lines).

Kooperationen


Die TU Darmstadt und die Firma Siemens koordinieren gemeinsam das gesamte Projekt. Daneben sind mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg, der TU Berlin und der Firma PowerDiagnostix weitere Hochschulen und Industriepartner in dem Projekt involviert, welche die Themengebiete Bodenmechanik, Thermik und die Zustandsbeurteilung der Gasisolierten Übertragungsleitung erforschen.

Dabei verläuft ein metallischer Innenleiter, gestützt auf Isolatoren, innerhalb eines metallischen Außenrohrs. Durch den auf Hochspannung liegenden Leiter fließt Gleichstrom von bis zu 5.000 Ampere. Zwischen dem Innenleiter und dem Außenrohr befindet sich ein Isoliergas, das die hohe Gleichspannung elektrisch isoliert. Dank der kompakten Bauweise dieser Leitungen lassen sich fünf Gigawatt Leistung – das ist die Leistung von vier bis fünf großen Kraftwerksblöcken – auf einer Trassenbreite von nur sechs Metern übertragen. Freileitungen benötigen für weitaus geringere Leistungen etwa 60 Meter breite Trassen.

Langzeitversuch unter realistischen Bedingungen

Modell einer gasisolierten 420 kV-Wechselstromleitung
Modell einer gasisolierten 420 kV-Wechselstromleitung

Erstmals wurde diese wenig erforschte, aber potenziell zukunftsträchtige Technologie an der TU Darmstadt einem Langzeitversuch unter realistischen Betriebsbedingungen unterzogen. Ziel der etit-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler: untersuchen, ob die unterirdischen gasisolierten Gleichstromleitungen die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen können, nämlich höhere Übertragungsleistung, geringerer Landschaftsverbrauch, geringere elektrische Verluste, hohe Zuverlässigkeit sowie nicht zuletzt auch eine höhere Wirtschaftlichkeit.

Für die Untersuchung der Leitungen unter realen Bedingungen sind Spannungen im Bereich von ± 550.000 Volt und Ströme im Bereich von 5.000 Ampere notwendig. Das entspricht rechnerisch etwa der Leistung von vier bis fünf Kraftwerksblöcken, die sich nicht einfach dem Stromnetz entnehmen lässt. Die Forscher:innen haben daher eine neuartige synthetische Prüfmethode entwickelt, um den Leistungsbedarf für den Langzeitversuch auf die Leistung eines 200-PS-Motors zu reduzieren.

Das Testfeld

Das Testfeld liegt in Griesheim neben dem August-Euler-Flugplatz, direkt am Stadtrand von Darmstadt. Für das Projekt errichtete die TU eine 670 Quadratmeter große Versuchshalle, die die Technik zur Spannungs- und Stromerzeugung beherbergt. Hallenkonstruktion und Fundamente sind eigens für die Arbeit mit hohen Spannungen ausgelegt. Von hier aus ziehen sich insgesamt 250 Meter gasisolierte Leitungen durch das ein Hektar große Versuchsfeld, die wegen der leichteren Zugänglichkeit teilweise oberirdisch, teilweise aber auch in etwa zwei Metern Tiefe unter der Erdoberfläche verlegt wurden.

Förderung

Das Projekt mit einem finanziellen Gesamtumfang von etwa 3,2 Millionen Euro wird vom Hessischen Wirtschaftsministerium durch Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) sowie durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) aus Bundes- und EU-Mitteln finanziell gefördert.