Forschende der TU denken Fotosynthese neu

Interdisziplinäres Projekt der Biologie sowie der Elektrotechnik und Informationstechnik

2022/11/02 von

Die Fotosynthese gilt als gut erforschter Prozess, ihre Funktionsweise ist durch über mehrere Jahrhunderte Forschung hinreichend durchleuchtet – so könnte man meinen. In einem interdisziplinären Projekt der Fachbereiche Biologie sowie Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU Darmstadt wird das seit Generationen bekannte Wissen um diesen Prozess mit aktuellen wissenschaftlichen Methoden revolutioniert. Damit eröffnen sich bisher ungeahnte Möglichkeiten für die landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion.

Neu-Vermessung der Fotosynthese

Mittels Fotosynthese wandeln Pflanzen und Mikroalgen Sonnenenergie in biochemisch verfügbare Energie um, also in Nahrung. CO2 wird dabei in Form von Zuckern fixiert, und Sauerstoff wird freigesetzt. Fast der gesamte Sauerstoff in der Erdatmosphäre ist darauf zurückzuführen. Die Fotosynthese ist der einzige Prozess zur Reduzierung von atmosphärischen CO2, der global von Bedeutung ist. Seit fast 400 Jahren wird die Fotosynthese wissenschaftlich untersucht. Dementsprechend ist viel über die Biologie, Biochemie, Physik und weitere Zusammenhänge in dieser Beziehung bekannt.

Gefördert durch die DFG

Das Interdisziplinäre Projekt „KI-basierte Modellierung der Fotosynthese als Funktion der Strahlungsintensität, Wellenlängen- und Pulsmodulation“ (Projekt-Nr. 500805487) wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über einen Zeitraum von drei Jahren gefördert. Die Fördersumme beträgt 700.000 Euro.

Das Erstellen von Modellen der Fotosynthese-Vorgänge ermöglichte es, ein Bild von der Bedeutung einzelner Faktoren wie Licht, Wasser, Temperatur oder CO2-Konzentration zu erhalten. Die Modelle wurden in Form mathematischer Gleichungen aufgestellt, mit denen Fotosynthese-Vorgänge beschrieben sowie Vorhersagen über den Einfluss einzelner Faktoren unter kontrollierten Bedingungen getroffen werden können. Solche Modelle sind für die Anzucht von Pflanzen in der Landwirtschaft und im Gewächshaus von enormer Bedeutung.

In der Praxis stellte sich jedoch heraus, dass die Modelle lediglich unter bestimmten Bedingungen gut anzuwenden sind, weil komplexe Einflüsse aus der Umwelt wie Wind, Trockenheit, Temperatur, aber insbesondere die Reaktion der betroffenen Pflanze selbst im Modell nur unzureichend berücksichtigt werden. Gerade das Licht ist einer der Faktoren, die die Fotosynthese wesentlich beeinflussen, und die vorhandenen Modelle stoßen hier an ihre Grenzen.

Unerwartet Effekte durch Rekombination verschiedener Lichteigenschaften

Mit der Expertise des Fachgebiets für Adaptive Lichttechnische Systeme und Visuelle Verarbeitung (Professor Tran Quoc Khanh) am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik hinsichtlich LED-Licht und der Analyse der Fotosynthese durch die AG Angewandte Pflanzenwissenschaft (Professor Ralf Kaldenhoff) am Fachbereich Biologie wurden Lichtbedingungen entdeckt, die mit den bestehenden Modellen nicht zu erklären waren: Strahlungswellenlängen und -intensitäten, die für sich genommen keinen Einfluss auf die Fotosynthese haben, waren in Kombination mit anderen Lichtfarben auf einmal wirksam.

Professor Tran Quoc Khanh,
Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik

Die interdisziplinäre Anwendung elektrotechnischer Verfahren eröffnet uns komplett neue Forschungsfelder. Hier sehe ich ein enormes Potenzial für die Zukunft.

Die Reaktion der Pflanze war unerwartet und nicht nur auf die Fotosynthese beschränkt. Dass Vorgänge in der Pflanze umfassend und dynamisch sind und dass das Verändern einzelner Faktoren unterschiedliche Auswirkung auf dieses komplexe System hat, ist keine neue Erkenntnis. Sie wird bereits durch verschiedene computergestützte Verfahren auch auf komplexe Synthesewege bzw. Regulationsmechanismen in Organismen übertragen. Auf die Fotosynthese wurde sie bisher jedoch nicht angewendet.

Einsatz von KI zur Re-Modellierung der Fotosynthese

Im Rahmen des Projekts wollen die beiden TU-Wissenschaftler die Fotosynthese im Zusammenhang der komplexen Reaktionen der Pflanze neu beschreiben. Dazu setzen sie die Fotosynthese selbst zunächst auf Null: Sie wird als „Blackbox“ betrachtet. Diese wird nach und nach mit Daten aus den Messungen an der Pflanze gefüllt. Umweltbedingungen, etwa die Strahlungsparameter, werden verändert, die Reaktion der Fotosynthese darauf wird mit genauen Messinstrumenten ermittelt und ins Modell eingearbeitet. Ziel ist es, ein dynamisches Modell der Fotosynthese durch KI-Algorithmen zu erstellen, welches mit zunehmender Dateneingabe durch Selbstlernen immer genauer wird.

Professor Ralf Kaldenhoff,
Fachbereich Biologie

In dem Projekt nutzen wir die Technik und Denkweise der Ingenieurswissenschaften, um biologische Systeme zu verstehen. In der Biologie bezeichnen wir das als Symbiose: eine Beziehung zweier unterschiedlicher Spezies zum gegenseitigen Nutzen.

Das validierte Modell wird Auswirkungen auf alle Bereiche der Pflanzen-Kultivierung haben, Landwirtschaft und Gewächshaus-Kultur eingeschlossen. Erreichbar ist das ambitionierte Vorhaben, die Fotosynthese mit aktuellen wissenschaftlichen Vorgehensweisen, zu verstehen und neu zu beschreiben, erst durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit an der TU.