Internationalität als wichtiger Baustein

Wie ein internationaler Studiengang die TU und das Leben darüber hinaus bereichert

2022/07/01 von

Am 05. Juli feiert der Studiengang Information and Communication Engineering, kurz iCE, sein 20-jähriges Jubiläum. Im Interview berichtet Professor Manfred Glesner von seinen Erlebnissen mit dem Studiengang und seinen Studierenden. 2001 hatte er iCE als ersten internationalen Studiengang der TU Darmstadt ins Leben gerufen.

Professor Manfred Glesner rief 2001 mit iCE den ersten internationalen Studiengang der TU Darmstadt ins Leben.

Was hat Sie damals dazu bewegt, einen internationalen Studiengang einzuführen?

Eine gute Frage, denn der Fachbereich etit war ja mit einer breiten Ansammlung von Studiengängen recht gut aufgestellt, fast jedes Institut hatte ja damals vor über 25 Jahren seinen „eigenen“ Studiengang. Diese Studiengänge waren fast ausschließlich national ausgerichtet, alle Kurse liefen in deutscher Sprache und waren keine Attraktion für ausländische Studierende, die es wohl deshalb damals bei uns nur in geringer Zahl gab.

Auf nationaler Ebene war es der DAAD, der sich mit Fragen der Internationalisierung der Bildung befasste. Ich war in den neunziger Jahren Gutachter für sein Programm „Internationale Studien- und Ausbildungspartnerschaften“. Über dieses Programm förderte der DAAD neue internationale Studienkooperationen, so auch die angesehene Kooperation zwischen der UC Berkeley und dem Fachbereich Maschinenbau/Technische Mechanik der TU Darmstadt. Bei meinen Besuchen beim DAAD in Bonn hatte ich damals von der dritten Ausschreibungsphase erfahren. Es war die letzte Ausschreibungsphase und es war klar, dass wir uns als TU Darmstadt an dieser Ausschreibungsrunde beteiligen müssen.

Unser damaliger Präsident Helmut Böhme war ein großer Förderer der Internationalisierung seiner Hochschule, so auch für unser geplantes Vorhaben. Es war mir eine große Freude, dass mehrere Kollegen aus den Fachgebieten der Nachrichtentechnik, Datentechnik und der Halbleitertechnik das Vorhaben eines Antrags für einen völlig neuartigen Internationalen Studiengang spontan unterstützten.

Zusammen mit der Führungsmannschaft meines Fachgebiets – wir waren an zahlreichen nationalen und internationalen Forschungsprogrammen von ESPRIT und Eurochip beteiligt – gelang es uns, rechtzeitig über den Fachbereich und den Senat der TU unseren Vorschlag beim DAAD termingerecht einzureichen. Wir waren in Bonn in Konkurrenz mit weiteren 60 Anträgen, von denen 16 Anträge genehmigt wurden, unser iCE-M.Sc.-Programm war als einziger ingenieurwissenschaftlicher Antrag mit dabei.

Da war die Freude groß, besonders weil es der Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Darmstadt in einer der beiden ersten Antragsrunden gelungen war, einen Förderantrag genehmigt zu bekommen. Dieser Studiengang überlebte nur wenige Jahre.

Es war mir eine große Freude, dass mehrere Kollegen aus den Fachgebieten der Nachrichtentechnik, Datentechnik und der Halbleitertechnik das Vorhaben eines Antrags für einen völlig neuartigen Internationalen Studiengang spontan unterstützten.

Der neue Studiengang „Information and Communication Engineering“ war von vornherein als ein forschungsorientierter M.Sc.-Studiengang konzipiert. Wir hatten im Programm auch eine Reihe internationaler Dozent:innen von Partnerhochschulen, z.B. aus Montpellier und Tallinn integriert, die nach Darmstadt kamen, um hier ihre Vorlesungen zu halten, auch als Blockveranstaltung, ZOOM war damals – Gott sei Dank – noch nicht bekannt.

Die beteiligten Studierenden bekamen dadurch ein Profil, das sie für eine Mitarbeit in internationalen Forschungs- und Entwicklungslabors von Firmen weltweit besonders qualifizierte. Auch waren sie als zukünftige Doktorand:innen sehr begehrt.

Der DAAD präsentiert seine Aktivitäten auf Ausbildungsmessen weltweit. Über diese Veranstaltungen wurde unser iCE-Studiengang schnell an vielen Stellen bekannt und wir mussten die Zahl der zugelassenen Studierenden limitieren, bzw. wir hatten online-Mechanismen entwickelt, um interessierte Studierende bereits per Internet in ihren Heimatländern zu testen. Diese Tests wurden dann in Deutschland weitergeführt.

Es war schade, dass eigentlich zu wenige deutschsprachige Studierende den Weg zum iCE-Studium auswählten, wohl einfach deswegen, weil die alten Studiengänge weiterliefen, aber gemeinsame Vorlesungen wurden in englischer Sprache exklusiv angeboten, was das Präsidium der TU Darmstadt auch begrüßte.

Die beteiligten Studierenden bekamen ein Profil, das sie für eine Mitarbeit in internationalen Forschungs- und Entwicklungslabors von Firmen weltweit besonders qualifizierte.

Es gab eine Reihe positiver Effekte, die für uns überraschend waren: Wir hatten mit der Motivation der Studierenden überhaupt keine Probleme. Sie arbeiteten alle mit großem Fleiß und Engagement! Die englische Sprache bedeutete für niemanden ein Problem. Sie nahmen auch das Angebot war, im ersten Studienjahr im Sprachenzentrum Deutschkurse zu belegen, um im zweiten Jahr auch Spezialvorlesungen in deutscher Sprache belegen zu können.

Studierende legten in ihren Masterabschlussarbeiten Wert darauf, dass aus ihrer Themenbearbeitung möglichst eine qualifizierte Publikation in einer Fachzeitschrift entstehen sollte. Das war bei unserem bisherigen Studierendenklientel weniger zu beobachten. Viele der Studierenden bewarben sich auch schnell um einen HiWi-Posten, einmal, um ihren sicher schmalen Haushalt aufzubessern, aber auch um in die Infrastruktur eines Instituts besser hinein zu wachsen.

Die Studierenden insgesamt unterteilten sich in einzelne Ländergruppen wie China, Indien, Pakistan und Südamerika. Im Internet tauschten sie regelmäßig Infos über den Studienverlauf mit all seinen Aspekten anderen Kommiliton:innen mit, was als durchaus positiv anzusehen ist. Die Studierenden mussten auch möglichst außerhalb der Hochschule ein sogenanntes Internship von sechs Monaten durchführen. Hier war die Bereitschaft sowohl von der Großindustrie als auch von mittelständischen Firmen sehr groß, solche Studierenden aufzunehmen.

Ich habe heute mit vielen der Absolvent:innen noch einen guten Kontakt, das geht ja über Plattformen wie LinkedIn sehr einfach. Ich freue mich zu lesen, wenn ein ehemalige Studierende stolz erwähnen, dass sie in Darmstadt iCE studiert haben! So neulich, als ich mit dem Flughafenbus zum Flughafen Frankfurt gefahren bin und ein Studierender mich zu seinem Platz winkte. Er war einer der erfolgreichen Absolventen, er arbeitet heute in der Autoindustrie in Stuttgart bei einem bekannten Unternehmen, dessen Sportwagen höchst beliebt sind. Viele ähnliche Beispiele ließen sich finden.

Wir hatten mit der Motivation der Studierenden überhaupt keine Probleme. Sie arbeiteten alle mit großem Fleiß und Engagement!

Vielleicht darf ich sagen, dass dieses ganze Projekt eines Internationalen Studiengangs sehr viel Freude bereitet hat, es gab nirgendwo ernste Schwierigkeiten, besonders schön, dass die ausländischen Studierenden sich bei uns im Rhein-Main-Gebiet wohl fühlten.

Anfangs machte mir die Leitung der Geschäfte des Studiengangs Sorgen. Wir hatten mit der UFRGS in Porto Aleghre eine rege Kooperation, Leandro Indrusiak kam als Doktorand zu uns, um hier in acht Wochen seine Dissertation fertig zu schreiben. Das tat er und bekam einen einzigartigen Doktortitel, der von den Präsidenten beider Hochschulen ausgewählt und in einer einzigen Doktorurkunde vergeben wurde, ein seltener Vorgang in einer Hochschule, den der damalige Präsident, Herr Böhme, nachhaltig unterstützte.

Leandro Indrusiak leitete die ersten zehn Jahre den iCE-M.Sc.-Studiengang mit extrem großem Erfolg. Leider lief seine Stelle aus und er nahm einen Ruf an der University of York (UK) an, wo der Rektor ihn sofort zu seinem Auslandsbeauftragten ernannte. Ich finde es großartig, dass Leandro Indrusiak auf der 20-Jahre-M.Sc.-Feier über seine reichen Erfahrungen zum Thema „Internationalisierung“ berichten wird.

Erwähnen sollte ich auch die jährlichen Weihnachtsfeiern, die wir sowohl für die iCE- Studierenden als auch die „deutschen“ Studierenden organisierten. Wir baten die iCE- Studierenden, die in dieser Zeit besonders an Heimweh litten, einen kulturellen Beitrag aus ihrem Land vorzuführen. Daraus ergaben sich wunderschöne multikulturelle Veranstaltungen, die alle in ihren Bann zogen.

Überraschend war auch, dass viele Studierende und Doktorand:innen aus dem iCE-Programm ihre Lebenspartner:innen hier fanden. Wir kennen viele Absolvent:innen, wo beide Partner:innen mit größtem Erfolg in der deutschen oder internationalen Industrie arbeiten. Oftmals kommen die Studierenden zum Studium nach Deutschland aus ihrem Heimatdorf unterfinanziert und haben hier eine schwere Zeit. Nach erfolgreichem Studium eröffnen sich für sie große Lebensperspektiven.

Leandro Indrusiak und ich selbst, wir haben auf LinkedIn einen iCE-Alumni Club gegründet, der guten Zuspruch findet, weil viele ehemalige Studierende weiterhin den Kontakt nach Darmstadt suchen.

Das sind alles schöne und überraschende Erfahrungen bei unserem iCE!

Dieses ganze Projekt eines Internationalen Studiengangs hat sehr viel Freude bereitet, es gab nirgendwo ernste Schwierigkeiten, besonders schön, dass die ausländischen Studierenden sich bei uns im Rhein-Main-Gebiet wohl fühlten.

Internationale Studiengänge waren in der Vergangenheit Erfolgsmodelle in den jeweiligen Universitäten. Sie werden bestimmt eine große Zukunft haben, und Universitäten müssen hier zukünftig präsent sein. In allen Fachbereichen entstehen durch Emeritierung oder Wegberufung Vakanzen, die neu zu gestalten sind. Beispielsweise die Medizintechnik in Darmstadt lässt sich gut auf ein internationales Niveau ausbauen, wie es beispielsweise die Charité und die TU Berlin zusammen schon lange zeigen.

Auch die vielfältigen KI-Aktivitäten im FB Informatik an der sind ein attraktives Gebiet für eine Erweiterung des Studienangebots. Oder neue Fachrichtungen im Maschinenbau, die heute mit der Robotik und Mechatronik auf viel mehr Hardware und Software setzen. Nicht zu vergessen, dass bei vielen Fachrichtungen die technologische Basis von großer Bedeutung ist, wie es die Halbleitertechnik in den letzten 50 Jahren bewiesen hat. Neue Forschungsgebiete wie die Photonik und die Nanotechnologie müssen hier aufgebaut werden.

Mit dem iCE-Studiengang hat der Fachbereich etit für einen Teilbereich bewiesen, dass ein internationaler Studiengang ein wichtiges, nicht mehr wegzudenkendes Angebot von Universitäten ist. Ebenso sollte ein internationales Semester für jeden klassischen Studierenden verbindlich sein.

Wie soll es weitergehen? Ein Blick nach Aachen zeigt es: in Deutschland hat wohl die RWTH Aachen die Nase vorne und bietet ein breitgefächertes Programm an Studienrichtungen, wo modular das einzelne Fachgebiet seinen Anteil in verschiedenen Formen anbieten kann. Dadurch entsteht ein Programm, das die Anforderungen an Internationalität erfüllt. Durch den modularen Aufbau können die Studierenden ihre eigene Studienrichtung nach ihren Interessen auswählen.

Viele Fachdisziplinen zeichnen sich durch eine erhebliche Interdisziplinarität aus, der modulare Aufbau eines Studienangebots erfüllt die Forderungen nach der notwendigen Interdisziplinarität.

Die Internationalisierung der deutschen Hochschullandschaft wird in den nächsten Jahren weiter ein heißes Thema bleiben. Der weltweit enorme Rückgang bei den Anfängerzahlen – besonders in den Ingenieurwissenschaften – verlangt von uns allen ehebliche Anstrengungen, die Studienprogramme zu verbessern.

Die Internationalisierung der deutschen Hochschullandschaft wird in den nächsten Jahren weiter ein heißes Thema bleiben.