Ist unser Planet noch zu retten?
Forschungskolloquium zur Energiewende
2020/08/26 von Markus Meyer
Am 25. August veranstaltete der Fachbereich etit ein weiteres Forschungskolloquium. Thema: Energiethemen der Zukunft. Mit etwa 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter auch zahlreiche Studierende, zeigte sich bei diesem Forschungskolloquium trotz Corona ein unvermindert anhaltendes Interesse an unseren Kolloquien. Das Kolloquium wurde per Videokonferenz durchgeführt.
Im Grunde interessiert nur eine einzige Frage: Schaffen wir die Energiewende überhaupt? Seit Fukushima und Fridays for Future wissen wir, dass der Energiesektor eine Transformation dringend nötig hat. Das ist leichter gesagt als getan: Atomkraftwerke werden stückweise abgeschaltet und hinterlassen klaffende Löcher in der Versorgung, parallel dazu steigt der Bedarf nach Overlaynetzwerken. Jene transportieren die Windenergie aus Schleswig-Holstein nach Bayern. etit-Dekan Prof. Dr. Khanh adressierte die Energiewende als eine Querschnittsangelegenheit, denn: Expertenwissen aus unterschiedlichen Domänen ist zwar vorhanden, jedoch noch nicht vernetzt. Leitfrage hierbei: Wie können bestehende Energienetze intelligenter genutzt werden?
Nach der Einführung durch Professor Khanh folgte eine Präsentation von Herrn Prof. Dr. rer. nat. Steinke vom Fachgebiet Energieinformationsnetze und -systeme. Immer wieder schickte er die Frage „Schaffen wir die Energiewende?“ auf den Bildschirm der Videokonferenz – und prognostizierte im Falle einer gescheiterten Energiewende zwar kein Ende der Welt, jedoch ein Miozän. Bei einem Miozän handelt es sich um eine geologische Epoche wüstenartiger Temperaturen und Trockenheit. Der Meeresspiegel würde um ca. 100 Meter und mehr ansteigen. Brutales Artensterben. Völkerwanderungen aus den tropischen Regionen (Afrika) hin zu den gemäßigten (Europa). Die Niederlande kämen ins Guinness-Buch der Rekorde als weltweit größte Badewanne. Die TU Darmstadt als zementenes Korallenriff?
Persönliche Überzeugung gefragt
Bedeutende Konsequenzen. Dabei darf eines nicht außer Acht gelassen werden: Professor Steinke betonte in seiner Präsentation, dass gerade Politiker und Manager sich in erster Linie nicht für unseren Planeten verantwortlich sehen, sondern für ihre Parteien, Unternehmen oder Allianzen. Käme ein moralisch aufgeweckter Politiker dennoch auf die Idee, ab jetzt eine CO2-Bepreisung von 200 Euro pro Tonne zu veranschlagen – was für Planet Erde in etwa so rettend wäre wie für die Wirtschaft ein Desaster – kann dieser Politiker sich schon darauf einstellen, von Volk und Wirtschaft achtkantig aus dem Parlament diskreditiert zu werden.
Steinke führte hier den Begriff eines CTM ein, also eines Career Terminating Move. Auch Manager sind CTM-gefährdet: Welcher Manager würde seine Karriere schon für die Entwicklung experimenteller Elektroautos riskieren, die am Ende niemand kauft? Daraus ergibt sich: Transformationen im Energiesektor brauchen eine starke persönliche Überzeugung. Fast immer fehlt sie.
Energiewende in Portionen?
Im Anschluss eine Präsentation von Prof. Dr. Nießen vom Fachgebiet Technik und Ökonomie Multimodaler Energiesysteme. Für ihn lautet die Antwort auf die Frage, ob wir die Energiewende schaffen: „Ja, schaffen wir, solange wir folgendes beachten…“ Es folgte die Schilderung einer Prognose aus dem Hause Siemens. Die Prognose glaubt eine Rettung für den Klimawandel zu wissen, solange wir beachten, dass die unterschiedlichen Schritte zur Energiewende mit unterschiedlichen Kostendimensionen zusammenhängen, und wir – zur erfolgreichen Energiewende – die Energiewende in sinnvolle Einzelschritte gliedern müssten: Coal-to-Gas-Shift, Dekarbonisierung, E-Mobilität…
Vieles hängt auch von Suedlink ab. Jener Korridor aus Hochspannungsleitungen soll Windenergie von Nord- nach Süddeutschland transportieren. Misslingt der Ausbau von Suedlink, explodieren unsere Strompreise… höchstwahrscheinlich.
Ellbogen contra Bequemlichkeit
Weitere Präsentation von Herrn Steinke. Dieses Mal über die Rolle von Machine Learning im Energiesektor. Die Herausforderung hierbei: Machine Learning lebt von Daten, doch sind die Hoheitsrechte von Daten im Energiesektor reichlich zerstreut. Netzbetreiber, Kraftwerksbetreiber, Anlagenhersteller und Kunden… Wer hat hier Nutzungsrecht? Bei den sogenannten GAFAs – Also Google, Apple, Facebook, Amazon – ist Datenhoheit stets eindeutig. Im Energiesektor nicht. Auch Cybersicherheit wird im Energiesektor weiterhin klein geschrieben. Und resilient sind Machine Learning Systeme sicherlich nicht. Es braucht also auch hier noch einiges an Ellbogeneinsatz.
Übrigens wurde die Frage „Schaffen wir die Energiewende?“ im Laufe des Forschungskolloquiums um eine weitere Frage ergänzt: „Schaffen wir die Energiewende, wenn unser Leben davon abhinge?“ Sicherlich ist die zweite Frage einfacher zu beantworten als die erste. Tatsache ist: Norwegen ist ein erfrischend kühles Urlaubsziel; Klimaanlagen fallen im Kaufpreis, sobald Temperaturen steigen; und Sommerbräune macht sich gut auf Instagram. Unser Gesellschaftssystem ist für unbequeme Maßnahmen nicht gemacht. Der Klimawandel wird wohl noch ein wenig hochkochen müssen, bestenfalls soweit, bis uns auch die Klimaanlangen schmelzen. Dann schaffen wir die Energiewende. Ganz bestimmt.