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Vor 60 Jahren: Karl Küpfmüller, ein Pionier der Elektrotechnik, wird emeritiert
03.05.2023 von Calvin Wenner
Karl Küpfmüller wurde am 6. Oktober 1897 in Nürnberg geboren, wo er bis 1913 die Volks- und Realschule besuchte. Es folgten eine Lehre (1913-1915) und gleichzeitig der Besuch der Ingenieurschule „Technikum Nürnberg“ bis 1919, unterbrochen vom Kriegsdienst in den Jahren 1917-1918. Von 1919 bis 1921 arbeitete Küpfmüller beim Telegrafenversuchsamt Berlin, legte zudem 1920 sein Abitur an der Oberrealschule Berlin Steglitz ab und besuchte im Anschluss Vorlesungen an der Universität Berlin.
Von 1921 an arbeitete er als Oberingenieur bei der Siemens & Halske AG in Berlin. Aufgrund seiner praktischen und wissenschaftlichen Erfolge wurde Küpfmüller 1928 zum ordentlichen Professor für Elektrotechnik an die Technische Hochschule Danzig berufen. 1935 folgte er einem Ruf an die Technische Hochschule Berlin, bevor er 1937 zur Siemens & Halske AG zurückkehrte. Als Honorarprofessor weiter in der Lehre tätig, forschte er sehr erfolgreich zur Systemtheorie, einer fächerübergreifenden Disziplin der Ingenieurswissenschaften, was ihm den Beinamen „Vater der Systemtheorie“ einbrachte.
In der Zeit des Nationalsozialismus stieg Küpfmüller schnell auf der Karriereleiter des „Dritten Reiches“ auf. 1933 gehörte er zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler. Er war Mitglied im NS-Kraftfahrkorps (1933) und der SA (1934); 1937 trat er der NSDAP und der SS bei, wo er bis in den Rang eines Obersturmbannführers aufstieg. Der Krieg eröffnete Küpfmüller neue Funktionen in der Kriegsmarine und im Heereswaffenamt. Dadurch kam er in persönlichen Kontakt mit der obersten NS-Führung.
Küpfmüller kam 1945 in britische, dann amerikanische Gefangenschaft. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er von Klägerseite in die Gruppe der Hauptschuldigen eingestuft. Trotz seiner SS-Ränge und Vorwürfen, als Wissenschaftler den NS aktiv unterstützt zu haben, wurde er 1947 von der Spruchkammer des Internierungslagers Hammelburg als Mitläufer eingestuft. Zu verdanken hatte er dies zahlreichen „Persilscheinen“ von ehemaligen Untergebenen sowie der Unterstützung durch den Industriellen Lothar Rohde.
In den Anschlussjahren war Küpfmüller Vorstandsmitglied und Entwicklungsleiter der Standard Elektrizitäts-Gesellschaft in Stuttgart, bis er 1952 von der TH Darmstadt als Nachfolger von Hans Busch und auf dessen eigene Empfehlung berufen wurde. Möglich war dies erst durch die Aufhebung des Verbots der Anstellung von Mitläufern 1950 geworden. Ein in seinen Akten fehlender Meldebogen über seine Mitgliedschaften im NS lässt Fragen offen, ob die TH Darmstadt über einen vollständigen Kenntnisstand zu Küpfmüller verfügte. Aufgrund des Berufungsberichts ist davon jedoch auszugehen. Er wurde Direktor des Instituts für allgemeine Nachrichtentechnik. Von 1955 bis 1956 war er Rektor der TH Darmstadt. Im gleichen Jahr berief man ihn auch für drei Jahre zum Vizepräsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ende März 1963 wurde Küpfmüller emeritiert.
1968 erhielt Küpfmüller den Werner-von-Siemens-Ring, eine der höchsten Auszeichnungen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Aufgrund seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus wurde dieser nicht wie in den Jahren zuvor vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann verliehen. Insgesamt wurden Küpfmüller viele Ehrungen und Auszeichnungen zuteil, die mit einer ganz besonderen Würdigung endeten: Zu seinem 80. Geburtstag 1977 stiftete die TH Darmstadt den Karl-Küpfmüller-Ring. Verliehen werden sollte er laut Satzung, „an Wissenschaftler, die durch ihre Forschungstätigkeiten die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch außerhalb ihres Fachgebiets gefördert und die wissenschaftliche oder technische Entwicklung maßgeblich beeinflusst haben.“ Elf Wissenschaftler wurden geehrt, darunter mit Manfred Eigen und Erwin Neher auch zwei Nobelpreisträger. Kurz nach seinem 80. Geburtstag verstarb Küpfmüller am 26. Dezember 1977 in Darmstadt.
Sein Leben und Wirken sind gekennzeichnet durch einen häufigen Wechsel zwischen akademischer Lehre und Industrie. Als Begründer der Systemtheorie und einer der Pioniere der Elektrotechnik bleibt er der Wissenschaft auch weit über seinen Tod hinaus erhalten. Auf der anderen Seite stellt Küpfmüller ein Beispiel für viele Wissenschaftler dar, die, obwohl ihre Karrieren im und durch den Nationalsozialismus gefördert wurden, diese im Nachkriegsdeutschland unbeschadet weiterverfolgen konnten.
Der Autor studiert im Master Geschichte und arbeitet als studentische Hilfskraft im Universitätsarchiv der TU Darmstadt.