Eiskalte Entwicklung

Extrem klein, extrem kalt und extrem schwierig zu untersuchen

27.03.2023 von

Biologische Zellen sind die Grundlage des Lebens. Aber wie funktionieren diese Zellen genau, welche Prozesse spielen sich in ihrem Inneren ab? etit-Professor Thomas Burg entwickelt spezielle Mikroskopieverfahren, mit denen sich diese für unser Auge verborgenen Prozesse beobachten lassen. Denn sie sind der Schlüssel für neue Therapien in der Medizin, der Entwicklung neuer Medikamente – und Vieles mehr.

Mit herkömmlichen Lichtmikroskopen kann man lebende Zellen und Organismen als Ganzes beobachten. Um jedoch einzelne Prozesse zu untersuchen, die im Inneren der Zellen stattfinden, braucht man viel größere Auflösungen. Diese sind aktuell nur mit einem Elektronenmikroskop möglich – und die Zellen müssen dafür fixiert werden. Damit sie dabei keinen Schaden nehmen, werden sie kryofixiert, d.h. sie werden blitzschnell auf Temperaturen unter minus 135 Grad Celsius gekühlt.

Hintergrundinfo: Kyrofixierung

Die Kryofixierung ist ein Prozess, bei dem eine Probe (z.B. ein biologisches Gewebe) sehr schnell auf sehr niedrige Temperaturen abgekühlt wird, um sie zu konservieren. Dabei wird die Probe in flüssigem Stickstoff oder einem anderen Kältemittel eingefroren, um ihre Struktur zu erhalten und Veränderungen zu verhindern, die bei höheren Temperaturen auftreten könnten. Durch das schnelle Herunterkühlen behält das Wasser seine glasartige, ungeordnete Struktur und bildet kein Eis. Die zellulären Strukturen bleiben so weitestgehend erhalten.

Zwischen dem letzten Blick auf den dynamischen Prozess im lebenden Objekt unter dem Lichtmikroskop und dem schockgefrorenen Zustand im kryofixierten Objekt müssen die Proben bisher noch umgelagert werden. Es bleibt also immer eine zeitliche Lücke – so fehlt immer ein Stück der Reaktionskette in der Beobachtung.

Professor Thomas Burg

Das Leben ist nicht statisch, sondern dynamisch. Um alles beobachten zu können, müssen Licht- und Elektronenmikroskopie perfekt ineinandergreifen, damit die Vorteile beider Verfahren ohne jede Zeitverzögerung zum Tragen kommen.

Professor Thomas Burg und sein Team entwickeln deshalb bei etit ein neues Verfahren: Den Zellen wird die Wärme blitzschnell noch unter dem Lichtmikroskop entzogen und sie werden direkt eingefroren. Er verwendet dafür Bauelemente aus der Mikrosystemtechnik, z.B. einen elektrisch beheizten Mikrokanal, in dem die Zellen zunächst bei physiologischen Temperaturen beobachtet werden können. Sobald das Heizelement ausgeschaltet wird, wird die Temperatur über einen Silizium-Chip, der mit Flüssigstickstoff gekühlt wird, abgeleitet.

Mit unserem Aufbau können wir die zellulären Prozesse bis zu dem Punkt studieren, an dem das Heizelement ausgeschaltet wird, das Temperaturgefälle zwischen Untersuchungsobjekt und Umgebung schlagartig kollabiert und die Proben innerhalb von Millisekunden einfrieren.

Hintergrundinfo: Elektronen- versus Licht-Mikroskopie

Mit Hilfe von Mikroskopie lassen sich kleine Objekte vergrößern und detailliert untersuchen. Je nach der verwendeten Art von Strahlung spricht man von Licht- oder Elektronenmikroskopie:

Lichtmikroskopie verwendet sichtbares Licht, um das Objekt zu beleuchten. Das Licht wird durch eine Linse oder einen Satz von Linsen fokussiert, um ein vergrößertes Bild des Objekts auf einem Bildschirm oder einer Kamera zu erzeugen. Lichtmikroskope haben eine begrenzte Auflösung, d.h. sie können nur Details bis zu einer bestimmten Größe erkennen.

Elektronenmikroskopie verwendet anstelle von Licht Elektronenstrahlung. Elektronenstrahlen haben eine viel kürzere Wellenlänge als sichtbares Licht, was zu einer viel höheren Auflösung führt, d.h. sie können viel kleinere Details erkennen als Lichtmikroskope. Außerdem verwenden Elektronenmikroskope elektromagnetische Felder anstelle von Glaslinsen, um den Elektronenstrahl zu fokussieren und ein vergrößertes Bild des Objekts zu erzeugen.

Die Elektronenmikroskopie ist in der Regel teurer und aufwändiger, da sie nur unter Vakuum funktioniert. In Luft würden die Elektronen durch Kollision mit den Gasmolekülen rasch gestoppt. Aus diesem Grund müssen biologische Proben, die normalerweise sehr viel Wasser enthalten, stabilisiert – oder fixiert – werden. Außerdem braucht es weitere spezielle Vorbereitungen, um das zu untersuchende Objekt für den Elektronenstrahl transparent zu machen. Die Elektronenmikroskopie wird eingesetzt, um sehr kleine Strukturen wie Viren oder komplexe Biomoleküle zu untersuchen, während die Lichtmikroskopie eingesetzt wird, um größere Strukturen wie Gewebe und Organe zu untersuchen.

Am besten wäre es natürlich, wenn sich die Zellen nach dem Auftauen gar nicht mehr an das Einfrieren erinnerten, sondern ihre zellulären Aktivitäten einfach dort wieder aufnähmen, wo sie durch das Einfrieren zum Stillstand gekommen sind. Denn wenn es gelingt, die Zellen mehrfach unbeschadet einzufrieren und wieder aufzutauen, könnten dynamische Prozesse nach Belieben betrachtet, angehalten und wieder angestoßen werden.

So können die Grundlagen dynamischer Prozesse in Zellen besser verstanden werden, zum Beispiel die Aktivierung von Immunzellen, die subtilen zellphysiologischen Unterschiede bei einzelnen Menschen, Interaktionen zwischen Zellen und Viren oder die Zellvermehrung. Und das eröffnet ganz neue Chancen, etwa in der individualisierten Medizin oder der Pharmazie – die Anwendungsmöglichkeiten sind so vielfältig wie das Leben selbst.

Über Professor Thomas Burg

Thomas Burg leitet am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik das Fachgebiet „Integrierte Mikro-Nano-Systeme“. Vor seinem Wechsel an die TU Darmstadt leitete er zehn Jahre lang eine Nachwuchsgruppe am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Die Forschung seiner Gruppe wird seit 2019 vom europäischen Forschungsrat gefördert.

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