Teilchenbeschleuniger im Taschenformat

etit-Wissenschaftler forschen an Beschleunigerchips

24.01.2021 von

Ein Chip, der entlang nur weniger Millimeter Elektronen auf die gleiche Energie beschleunigen kann wie heutige Teilchenbeschleuniger in Raumgröße? Genau ein solcher ist am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU Darmstadt entwickelt worden. Das könnte zu günstigen, überall einsetzbaren Geräten führen.

Dr.-Ing. Uwe Niedermayer forscht an Design und Simulation von lasergetriebenen Elektronenbeschleuniger­Mikrochips. Bild: Katrin Binner
Dr.-Ing. Uwe Niedermayer forscht an Design und Simulation von lasergetriebenen Elektronenbeschleuniger­Mikrochips. Bild: Katrin Binner

Ein kurzer Blick in eine mögliche Zukunft der Medizin: Ein Endoskop findet einen Tumor. Der Arzt oder die Ärztin richtet das Instrument exakt auf die Geschwulst aus und drückt einen Knopf. Es scheint nichts weiter zu passieren. Doch von der Spitze des Endoskops jagen Elektronen zu den Tumorzellen wie Geschosse und zerstören diese. Dies wäre eine sehr gezielte und das gesunde Gewebe schonende Krebstherapie.

Heute ist das noch nicht möglich, weil Elektronenbeschleuniger mit ihren Magneten und ihren Mikrowellenresonatoren einen ganzen Raum füllen. Uwe Niedermayer vom Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Darmstadt möchte das ändern. Mit seinen Kollegen Thilo Egenolf und Professor Oliver Boine-Frankenheim sowie den Mitgliedern des internationalen ACHIP (Accelerator on a Chip)-Forschungsprogramms hat der Ingenieur ein Konzept für einen Elektronenbeschleuniger vorgelegt, der weniger als einen Millimeter misst. Dieser ließe sich auf ähnliche Weise herstellen wie Computerchips, somit auch in großen Mengen zu geringen Preisen. „Damit könnte jedes Universitätslabor sich einen eigenen Elektronenbeschleuniger leisten“, sagt Niedermayer.

Ein Laser beschleunigt die Elektronen

Trotz seiner geringen Größe würde das Gerät die Elektronen auf das gleiche Tempo bringen wie ein herkömmlicher Beschleuniger. In der Physik wird die einem Elektron zugeführte Energie als elektrische Spannung angegeben. Denn das damit verbundene elektrische Feld übt eine Kraft auf ein Elektron aus, die dieses antreibt. Der Mini-Beschleuniger aus Darmstadt lässt sich beliebig verlängern und kann somit theoretisch unbegrenzte Energie erreichen. Im aktuellen Beispiel werden 70.000 Volt in weniger als einem Millimeter Länge erreicht. Für eine solche Antriebskraft bräuchte man rund 50.000 Batterien, wie man sie im Supermarkt kaufen kann.

Hier treibt allerdings ein Laser die Teilchen an. Denn auch Licht verursacht ein elektrisches Feld. Weil es aber eine Welle ist, kehrt dieses Feld ständig seine Richtung um. Ein Elektron würde also zunächst beschleunigt, nur um im nächsten Moment im gleichen Maß wieder gebremst zu werden. Das Forschungsteam hat einen Trick gefunden, mit dem sich der bremsende Teil des Feldes abschwächen lässt. Einen ersten Entwurf dafür hat es 2018 vorgestellt. Dieser ist nun verbessert, sodass der Beschleunigerchip ohne externe Zusatzausrüstung auskommt.

Wechselwirkung zwischen Silizium und Lichtwellen

Das Prinzip lässt sich am einfacheren ersten Entwurf erklären: Auf einer Unterlage stehen zwei parallele Reihen winziger Zylinder aus Silizium, vergleichbar mit einer Kolonnade. Der Kanal zwischen den Quadern ist nur rund 200 Nanometer breit (ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter), 25 Mal dünner als ein menschliches Haar. Auch die „Säulen“ selbst haben nur etwa diese Größe. Die Abstände zwischen den Säulen entsprechen ungefähr einem Zehntel der Wellenlänge des Lasers. Das Laserlicht kommt senkrecht zum Kanal von beiden Seiten in die „Kolonnade“. Grob gesagt funktioniert die Beschleunigung so: Das Silizium der Säulen wechselwirkt mit dem elektrischen Feld der Lichtwellen, sodass sich dieses zwischen zwei Säulen verstärkt.

Entlang des Kanals bildet sich dadurch eine Welle aus, die zwischen den Säulen stärker schwingt als in den freien Lücken. Sendet man nun ein Elektron mit einer passenden Anfangsgeschwindigkeit in den Kanal, sodass es immer dann zwischen zwei Säulen gelangt, wenn das elektrische Feld gerade in seine Flugrichtung zeigt, so wird es jeweils beschleunigt. Zwischenzeitlich passiert es die freien Lücken zwischen je einem Säulenpaar, wo das elektrische Feld schwächer ist. Daher wird es deutlich weniger gebremst als es zuvor beschleunigt wurde. Im Ergebnis wird das Teilchen immer schneller. Die Kolonnade und die Laserwelle beeinflussen sich auf komplexe Weise, sodass sich der Wechsel zwischen Beschleunigen und Bremsen dem wachsenden Tempo der Elektronen anpasst.

Die Teilchen „gerade halten"

Eine große Herausforderung bestand für das Team um Niedermayer darin, die Elektronen auf einer geraden Bahn durch den Kanal zu halten. Zum Rand des Kanals hin verändert sich nämlich die Stärke des elektrischen Feldes. Das führt dazu, dass das Elektron von der geraden Bahn weggetrieben wird.

Bei einem herkömmlichen Elektronenbeschleuniger zwingen spezielle Magneten die Teilchen auf eine gerade Bahn. Die Kraft solcher „Quadrupolmagneten“ auf ein Elektron ist vergleichbar mit der eines Sattels auf eine Kugel. In Längsrichtung ist der Sattel so gewölbt, dass die Kugel von außen in die Mitte rollt, wo sie gehalten werden soll. In Querrichtung jedoch ist der Sattel von der Mitte aus nach unten gebogen, sodass die Kugel von dort wegrollen und vom Sattel fallen würde. Würde man den Sattel jedoch schnell rotieren lassen, würde zwar die Kugel anfangen wegzurollen, aber nach kurzer Zeit von der sich hereindrehenden, nach oben gewölbten Sattelfläche eingefangen. Die Kugel bleibt in der Mitte des Sattels. Im Teilchenbeschleuniger bildet man das nach, indem entlang des Wegs der Elektronen die Ausrichtung der Quadrupolmagneten wechselt.

Die Wissenschaftler haben ihre Kolonnade analog dazu konzipiert. Es gibt immer wieder größere Lücken in der ansonsten regelmäßigen Abfolge der Säulen. Diese sorgen für einen ähnlichen Effekt wie die Drehung eines Quadrupolmagneten. Werden vor der Lücke die Elektronen von der Mitte weggelenkt, springt das elektrische Feld hinter der Lücke um, sodass sie wieder zur Mitte hingelenkt werden.

„Wir verkürzen den Weg in die kommerzielle Anwendung“

Die erste Version ihres Designs hatte noch das Manko, dass die Elektronen immer noch nach oben und unten auseinanderlaufen konnten. Nach dem aktuellen Design gelingt nun auch diese Fokussierung. Dafür besteht jede Säule nun im unteren Teil aus Glas und im oberen aus Silizium. Deren unterschiedlicher Brechungsindex sorgt für einen ähnlichen Fokussierungseffekt wie in der Querrichtung.

Niedermayer, der übrigens mit dem „Nachwuchspreis 2020 Beschleunigerphysik“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ausgezeichnet wurde, freut sich über das einfache Design. „Wir verkürzen damit den Weg in die kommerzielle Anwendung“, sagt er. Denn auf dem Markt gebe es bereits günstige Chip-Rohlinge, so genannte „Wafer“, die aus einer Doppelschicht Glas-Silizium bestehen. Das Darmstädter Design könnte mit etablierten Verfahren der Halbleiterindustrie aus solchen Wafern gefertigt werden. Um den technischen Aufwand noch weiter zu reduzieren, hat das Team eine neue Idee, die es gerade zum Patent angemeldet hat. So kommen die Forscher einem Ziel des ACHIP-Projekts näher: Einen Teilchenbeschleuniger, der samt Elektronenquelle und Laseroptik nicht größer ist als ein Schuhkarton ist in fernerer Zukunft ganz in ein Endoskop passen soll.