Verlängerungskabel für die Energiewende
Neues Testfeld: etit-Wissenschaftler untersuchen gasisolierte Gleichstrom-Erdleitungen unter Realbedingungen
17.10.2019 von Silke Paradowski
Lässt sich mit unterirdischen, gasisolierten Gleichstromleitungen regenerativ erzeugter Strom über weite Strecken verlustarm, effizient und kompakt transportieren? Dieser Frage gehen Wissenschaftler des Fachbereichs Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU Darmstadt und ihre Forschungspartner in einem Langzeit-Großversuch nach, für den heute ein neues Testfeld am August-Euler-Flugplatz eröffnet wurde.
Das Gelingen der Energiewende steht in direktem Zusammenhang mit dem elektrischen Netzausbau in Deutschland, denn der Strom, der aus Windenergie im Norden gewonnen wird, muss in den Süden des Landes transportiert werden. Doch hier ergeben sich technische und gesellschaftliche Probleme: Der Bau von Hochspannungsfreileitungen erzeugt Widerstand bei Anwohnerinnen und Anwohnern. Und mit herkömmlichen Wechselstrom-Erdkabeln lässt sich Energie nicht über mehrere hundert Kilometer wirtschaftlich transportieren. Einen Ausweg stellen Gleichstromkabel dar, die aber technisches Neuland sind und sich für die geplante Übertragungsspannung von bis zu ± 550.000 Volt zum Teil noch in der Qualifizierungsphase befinden. Eine sinnvolle Ergänzung zu den genannten Übertragungstechniken mit weniger Platzbedarf stellen neuartige, gasisolierte Gleichstrom-Übertragungsleitungen dar (DC GIL, Direct Current Gas-insulated Transmission Lines).
Dabei verläuft ein metallischer Innenleiter, gestützt auf Isolatoren, innerhalb eines metallischen Außenrohrs. Durch den auf Hochspannung liegenden Leiter fließt Gleichstrom von bis zu 5.000 Ampere. Zwischen dem Innenleiter und dem Außenrohr befindet sich ein Isoliergas, das die hohe Gleichspannung elektrisch isoliert. Dank der kompakten Bauweise dieser Leitungen lassen sich fünf Gigawatt Leistung – das ist die Leistung von vier bis fünf großen Kraftwerksblöcken – auf einer Trassenbreite von nur sechs Metern übertragen. Zum Vergleich: Freileitungen benötigen für weitaus geringere Leistungen etwa 60 Meter breite Trassen.
Erstmals wird nun diese bislang wenig erforschte, aber potenziell zukunftsträchtige Technologie an der TU Darmstadt einem mindestens einjährigen Langzeitversuch unter realistischen Betriebsbedingungen unterzogen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der TU wollen in Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen und Industriepartnern herausfinden, ob die unterirdischen gasisolierten Gleichstromleitungen die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen können: höhere Übertragungsleistung, geringerer Landschaftsverbrauch, geringere elektrische Verluste, hohe Zuverlässigkeit sowie nicht zuletzt auch eine höhere Wirtschaftlichkeit. Fachgebiets Hochspannungstechnik
Die TU Darmstadt und die koordinieren gemeinsam das gesamte Projekt. Die TU Darmstadt ist insbesondere für die Umsetzung und Erprobung neuester international anerkannter wie auch im Rahmen des Projekts neu entwickelter Prüfmethoden zuständig. An der Versuchstrasse werden außerdem thermische und mechanische Messungen durch die Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg durchgeführt, um die Bodenmechanik und die thermischen Grenzwerte der Leitung zu studieren. Die Erforschung der elektrischen Zustandserfassung der Hochspannungsleitung – auch das ist technisches Neuland – erfolgt gemeinsam mit der Firma PowerDiagnostix sowie der TU Berlin. Für die Entwicklung und den Bau der neuartigen gasisolierten Leitung ist insbesondere der Kooperationspartner Siemens verantwortlich. Firma Siemens
Für die Untersuchung der Leitungen unter realen Bedingungen sind Spannungen im Bereich von ± 550.000 Volt und Ströme im Bereich von 5.000 Ampere notwendig. Das entspricht rechnerisch etwa der Leistung von vier bis fünf Kraftwerksblöcken, die sich nicht einfach dem Stromnetz entnehmen lässt. Das Fachgebiet Hochspannungstechnik hat daher eine neuartige synthetische Prüfmethode entwickelt, um den Leistungsbedarf für den Langzeitversuch auf die Leistung eines 200-PS-Motors zu reduzieren.
Das Testfeld liegt in Griesheim neben dem August-Euler-Flugplatz, direkt am Stadtrand von Darmstadt. Für das Projekt errichtete die TU eine 670 Quadratmeter große Versuchshalle, die die Technik zur Spannungs- und Stromerzeugung beherbergt. Hallenkonstruktion und Fundamente sind eigens für die Arbeit mit hohen Spannungen ausgelegt. Von hier aus ziehen sich insgesamt 250 Meter gasisolierte Leitungen durch das ein Hektar große Versuchsfeld, die wegen der leichteren Zugänglichkeit teilweise oberirdisch, teilweise aber auch in etwa zwei Metern Tiefe unter der Erdoberfläche verlegt wurden.
Das Projekt mit einem finanziellen Gesamtumfang von etwa 3,2 Millionen Euro wird zur Hälfte vom Hessischen Wirtschaftsministerium durch Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert.
Das Testfeld gehört zum interdisziplinär angelegten der TU Darmstadt und ist ein wichtiger Teil der Forschungsrichtung „Stromtrassen optimieren“. Profilbereich „Energiesysteme der Zukunft“
Profilbereich Energiesysteme der Zukunft
Der bündelt die Energieforschung der TU Darmstadt. Er ist eine Plattform für den interdisziplinären Austausch von Forscherinnen und Forschern aus den Naturwissenschaften, den Ingenieur- und den Sozialwissenschaften. Diese breite Interdisziplinarität und enge Zusammenarbeit ist eine besondere Stärke von Darmstadt, sichtbar in vielen erfolgreichen gemeinsamen Forschungsaktivitäten. Darmstädter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden schon vielfach für ihre Arbeit in der Energieforschung ausgezeichnet. Schaufenster sind die Themenfelder „Stromtrassen optimieren“, „Energiesysteme flexibel und resilient planen und betreiben“ und „Regenerative Brennstoffe erzeugen und nutzen“. Darüber hinaus fördert der Profilbereich die interdisziplinäre Ausbildung durch einen Energie-Studiengang und eine Graduiertenschule, sowie den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft. Profilbereich Energiesysteme der Zukunft